entdeckt – fotografiert – interpretiert
Öffentliches Leben? Aber bitte nur so viel wie unbedingt notwendig! Das scheint die Devise des Grauflügligen Erdbocks zu sein. Er verbringt die längste Zeit seines Lebens im Erdreich. Seine unterirdische Entwicklungszeit zieht sich hin – sie dauert ganze zwei Jahre.
Überwintert wird zunächst als Larve, die im Bereich von Graswurzeln lebt und sich von ihnen ernährt. Im zweiten Jahr geht’s an sie Verpuppung mit anschließendem Käferschlupf und weiterer Überwinterung. Im darauffolgenden April ist es dann endlich soweit. Die ersten Käfer sind nun fit für ihren kurzen aber bedeutenden oberirdischen Auftritt. Es ist Paarungszeit und für die Fortpflanzung stehen gerade mal drei bis vier Wochen zur Verfügung.
Zeitknappheit scheint ein gutes Argument dafür zu sein, auf langes, aufwendiges Herumfliegen zu verzichten. Kurze Wege erledigen sich schließlich viel schneller und ökonomischer zu Fuß. Und genau das tut der Erdbock. Er kann gar nicht anders! Seine Flügeldecken sind miteinander verwachsen – er ist vollkommen flugunfähig!
Das ist nicht weiter dramatisch. Seine Ansprüche an das Leben sind zwar zielgerichtet, doch sonst eher spartanisch. Oberstes Ziel ist die Arterhaltung und so muss der passende Partner gefunden werden. Da die Suche trotz gemächlicher Gangart einige Energien verbraucht wird verzehrt, was ohnehin reichlich vorhanden ist – Grashalme!
War die Partnersuche samt Fortpflanzung erfolgreich, legt das Weibchen anschließend seine Eier in die Basis von Graswurzeln. Und wenn alles gut geht, wächst hier in den nächsten zwei Jahren eine neue Erdbockgeneration heran.
Im NSG Brachenleite ist der Graue oder Variable Erdbock an verschiedenen Stellen zu finden. Sein bevorzugter Lebensraum, trockenwarme, offene Habitate sind hier reichlich vorhanden. Ideal scheinen insbesondere die Weideflächen zu sein, die randlich geschotterter Wege eine lückige Grasnarbe aufweisen. Hier lässt sich der Erdbock an sonnigen Tagen gut beobachten. Nur wenn man ihm z.B. mit einer Kamera zu nahe kommt, verschwindet der sonst eher träge herumkrabbelnde Käfer wieselflink in der anschließenden dichten Gras- und Krautvegetation.
Im Leben des Grauflügligen Erdbocks unterliegt fast alles einem strengen Entwicklungsprogramm. Nur in der Färbung seiner feinen Flügeldeckenbehaarung (Tomentierung) zeigt sich der Käfer variabel; daher der weitere Name. Von weißlich graublau bis bräunlich grau gestreift ist alles drin. Fehlt die Behaarung, kommt die schwarze Grundfärbung (Varietät atrum) zum Vorschein. Im NSG Brachenleite wurde der Erdbock an allen bekannten Stellen nur in seiner weißlich grauen und grauschwarz gestreiften Nominatform angetroffen.
Der ca. 15 mm große Grauflüglige Erdbock, aus der Familie der Bockkäfer (Cerambycidae), ist in Deutschland sehr selten geworden und gilt als stark gefährdet (Rote Liste 2).
Text und Fotos: Marlies Jütte